V E R E I N S N A M E N . D E

-  Z e n t r a l s t e l l e   f ü r   d e u t s c h e   F u ß b a l l - V e r e i n s n a m e n  -



Einstieg    • Sammlung Bezeichnungsnamen    • Sammlung Wortnamen    • Vertiefungen
Namentliche Werdegänge    • Zeitgeschehen    • Vereinsnamen-Knigge    • Geschichtswerke



Evolution von TuRa    • Evolution von Kickers    • Evolution von 1.FC    • Mythos Wismut
Vereinsname auf der Brust    • Wortnamen-Urknall in Berlin    • Holzweg Arbeiterfußball
Ex-Landesflächen weitergedacht    • Brennpunkt Ostoberschlesien    • Luxemburg 1940
Verspätete Pokalauslosungen    • Deckblätter von Festschriften    • Altertümliche Liedtexte
Rugby im Fußballgewand




Wortnamen-Urknall in Berlin



Jede Abhandlung über den Auftakt der deutschen Fußballgeschichte bringt immer wieder andere Vereine in Stellung. Lassen wir aber diejenigen Orte und Zeitpunkte durch`s Raster fallen, die eher Rugby zum Gegenstand hatten und/oder wo britische Gäste am Werk waren, klammern wir auch das frühreife schweizerische St. Gallen sowie die vorwegtänzelnden Sternschnuppen „Bremer Football-Club“ (1880) und „Football-Club Basel“ (1881) aus, dann wird die Sicht klar. Wir befinden uns nun gegen Ende der 1880er Jahre vor den Toren Berlins. Südlich der Stadt, unmittelbar neben der Hasenheide, in der bereits die deutsche Turnbewegung ihren Anfang genommen hatte, lag eine schön gemähte Wiese, die wir alle kennen: Das Tempelhofer Feld. Dorthin zogen die ersten Berliner Fußballklubs aus, um dem neuen Spiel zu frönen. Anlaufstelle war eine Pappel, die auf Höhe der U-Bahn-Station „Paradestraße“ wuchs (unter diesem Baum stehend nahm der Kaiser militärische Paraden ab). Beiderseits des Tempelhofer Damms, also auch im heute bebauten westlichen Bereich, steckten die begeisterten Kicker ihre Flächen ab. Von 1891 an bildete sich ein zusätzlicher Wallfahrtsort an der Nordgrenze der Stadt, und zwar auf einem Exerzierplatz im Winkel zwischen Schönhauser Allee und Bernauer Straße bzw. jetzt Eberswalder Straße bis hin zum nunmehrigen Jahnsportpark. Kurioserweise gedieh auch hier eine einsame Pappel, von der am gleichen Standort in der heutigen Topsstraße ein beschilderter Nachzögling besichtigt werden kann (die allgemeine Bedeutung dessen liegt darin, daß es 1848 der Treffpunkt der Berliner Vormärzler gewesen war). Weiter unten auf dieser Seite sehen wir einen typischen Terminplan, der nur die Spielstätten Tempelhofer Feld (T.F.) und Bernauer Straße (B.S.) kannte. Das waren die beiden heiligen Rasen, auf denen sich nahezu das gesamte Fußballgeschehen vollzog. Angehende Fußballklubs klopften dort süd-nord-übergreifend ab, welche Vereinsnamen schon belegt und welche noch frei waren.




„Vereinsname“, das sollte im steinzeitlichen Berliner Fußball beinahe selbstredend „Wortname“ bedeuten. Als Bezeichnungsname wurde dazu geschlossen und lustlos „FC“ (= Fußballclub) getragen, bisweilen ergänzt um ein „C“ für die Sportart Cricket oder um ein „T“ für den entsprechenden Eindeutschungsversuch „Thorball“. Noch geringer schätzte man im Namensaufbau den Ortsnamen, da er ja sowieso bei allen der selbe war (auch in den erst später eingemeindeten Siedlungen verstand man sich schon als Berliner), und Spiele gegen auswärtige Gegner die Vorstellungskraft überstiegen. Insofern machten es die Klubs ganz geschickt, wie sie den Ortsnamen vorne niederließen, um ihn zusammen mit dem Bezeichnungsnamen abzukürzen. Bekanntester Vertreter solcher Art ist heute der BFC Dynamo, der sich viel später aus der DDR heraus noch einmal auf diese Berliner Gepflogenheit besann.


Die Aneignung der Wortnamen können wir uns unter Laborbedingungen anschauen, obschon sich die Gesamtlage nicht vollends keimfrei zeigte. Einige Wortnamen wurden in den 1880er Jahren nämlich von Radsport-, Schwerathletik- und vor allem von Rudervereinen geführt, auch der bekannte Leichtathletik-Verein Germania aus Wandsbek (= Germania 87 Hamburg) ist zu nennen. Bei den behäbigen Turnern verloren sich Wortnamen dagegen im Promillebereich. Selbst Gut-Heil und Jahn hatten noch lange kein Standardlevel erreicht. Von den für uns Fußballer interessanten Namen sind bei ihnen je einmal Eintracht, Phönix, Union und Westfalia nachweisbar, sowie höchst unerwartet von Schlesien ausgehend sechsmal Vorwärts. Ins schweizerische St. Gallen, wo die Einheimischen schon seit einer Weile Fußball (!) spielten, dürfte kein Kontakt bestanden haben. Dortige Wortnamen - Annaria, Aurora, Celeriana, Gymnasia, Tigeria - entpuppten sich ohnehin als nicht wegweisend. Gleiches gilt für den Engländer-Klub Grasshoppers Zürich. Gemäß damaligem Sprachgebrauch gab es auch in Deutschland verstreut einige Fußballvereine, die jedoch in Wahrheit die Sportart Rugby betrieben. Von diesen trug allein Teutonia Bremen einen Wortnamen (nachdem sich in Frankfurt bereits eine umfangreiche Vereinslandschaft mit etlichen Wortnamen verabschiedet hatte; s. „Rugby im Fußballgewand“). „Teutonia“ war demnach als einziger Wortname schon aktiviert. Ansonsten hatte Berlins erster Klub, der sich zunächst auch nur im Rugby erprobte, anno 1885 freie Bahn! Und wie nannte der sich? BFC Frankfurt ... Was für ein Fehlstart! Fahren wir über diese empörende Namensidee, die sich auf die hessische Heimatstadt des Gründers bezog, besser schnell hinweg (aber nicht ohne die unfaßbare Anmerkung, daß zehn Jahre darauf auch der erste Fußballklub Nürnbergs „Frankfurt“ heißen sollte, benannt nach den Berliner Frankfurtern ...). 1888 ging es im zweiten Versuch dann „richtig“ los, so wie es nicht anders zu erwarten war, mit dem - bis heute unverändert bestehenden - BFC Germania (= Germania 88). Postwendend folgte in Gestalt des undeutbaren BFC Marbert aber der nächste Ausrutscher. Dieser Name wurde jedoch schnell auf BFC Stern (= Stern 89) korrigiert, eine überraschende Wahl, durch die sich für weitere Vereinsbenennungen die Tür zum Weltraum öffnete. Kurz darauf entstand der BTuFC Victoria (= Viktoria 89). Für das epochale Namensgespann der Gründerzeit, Germania/Viktoria, hatte es also fünf Schüsse gebraucht. Im Verlauf des Jahres 1890 erweiterte sich der Kreis - in alphabetischer Reihenfolge - um Allemania, Askania, Borussia, Concordia, Hellas, Hohenzollern, Tasmania (ist natürlich nicht mit Tasmania 1900 zu ver­wechseln), Toskana, Vorwärts. Und dann brachen alle Dämme.



      



Um einen Eindruck davon zu erhalten, welch reges Treiben seinerzeit in Berlin herrschte, führen wir uns mal eine Zusammenstellung der Jahre 1893 und 1894 zu Gemüte (die angesichts des Kommens und Gehens für keinen bestimmten Moment Gültigkeit hat). Sechs schräggestellte Vereinsnamen sind im Prinzip bis zum heutigen Tag erhalten geblieben. Im Süden luden zu ihren Heimspielen ein: Altona, Amicitia, Arcona, Arminia, Askania, Berolina, Borussia, Brandenburg, Britannia, Columbia, Deutschland, Eintracht, Fortuna, Friedrich-Wilhelm, Frühling, Germania, Gut Heil, Hellas, Hercynia, Iphigenia, Madeiro, Nordstern, Normannia, Semnonia, Sport, Stern, Sylvia, Tasmania, Teophania, Toscana, Union, Venus, Victoria, Vorwärts. Im Norden spielten: Abbacia, Allemania, Apollo, Burgundia, Concordia, Helgoland, Hertha, Isabella, Merkur, Norden, Osteria, Phönix, Preussen, Rapide, Teutonia. Nicht zuordenbar (oder auf den ersten Plätzen in Moabit, Treptow, Schönholz und Weißensee zugange): Adler, Alexandria, Anita, Cheruskia, England, Gallia, Helvetia, Hevellia, Hohenzollern, Hubertus, Italia, Juventas, Marko­mannia, Mars, Minerva, Romania, Sevilla, Urania, Valeria, Venetia, Verona, Vineta. Excelsior und Meteor bestanden als andersartige Sportvereine auf den gleichen Anlagen, Favorit kam etwas später auf. Eine Reihe besonders begehrter Namen wie Allemania/Alemannia, Germania, Teutonia, Union, Victoria/Viktoria und Vorwärts waren dauerhaft durch gut geführte, langlebige Vereine besetzt. Andere wie Borussia, Columbia, Eintracht, Fortuna oder Preussen/Preußen wurden bei der nächsten Gelegenheit sofort wieder in Beschlag genommen. Der vorgestellte Reigen enthält sicherlich viel „Ausschußware“. Heute wissen wir, daß es anders auch nicht laufen konnte, denn unsere besten und schönsten Wortnamen waren fast alle an Bord, und weitere wurden ja auch später so gut wie nicht mehr gefunden. Allenfalls könnte man den Berliner Kämpen vorwerfen, daß ihnen die Namen Empor, Hansa, Olympia, Sparta, Sturm und Wacker nicht einfielen. Kickers erschien zur selben Zeit in Karlsruhe (weitere Wort­namen lauteten dort Allemania, Argo, Arrow, Celeritas, Germania, Phönix, Quickness, Red Star). „Vereinsnamen gemäß den Vereinsfarben“ wären verfrüht gewesen, zumal sich die meisten Klubs keine ausgewählte Spielkleidung leisten konnten. Zu dieser ganzen Angelegenheit möchte man gern die History-Fiction-Frage stellen, was für ein Namensspektrum sich ergeben hätte und uns bis heute beeinflussen würde, wenn statt Gymnasiasten und Studenten zuerst die Arbeiterschicht am Ball gewesen wäre. Aber die ist schier nicht zu beantworten.











Ende 1893 beschäftigte sich zum allerersten Mal jemand mit dem im Entstehen begriffenen deutschen Fußball-Vereinsnamenswesen. Unter der Überschrift „Etwas über Club-Namen“ ließ er per Leserbrief in der Zeitschrift „Spiel und Sport“ verkünden: „Eine Vorlesung will ich nicht halten, und mich lustig zu machen, das sei fern von mir, (...) ich möchte mich nur über die Verirrungen der jungen Leute hier in Berlin beklagen, die Clubs und speciell Fussball- und Cricket-Clubs gründen. (...) Ich will hier keinen Menschen beleidigen, aber Markomannia, Romania, Burgundia, Anita, Hertha und ähnliche Namen, das ist ja schrecklich. Wollen denn die ersteren Herren durchaus die Namen der studentischen Corps nachäffen, haben wir das nötig? Und die letzteren könnten ja ebenso gut einen weniger poetischen Frauennamen, wie zum Beispiel Auguste oder Rike oder sonst so was Gutes annehmen. Warum existiert denn unter den 60 bestehenden Vereinen kein einziger, der sich Fussball-Club ‚Berlin’ nennt? Das ist nur ein Name, den ich hier erwähne, ich könnte noch Dutzende sagen (...). Ich hoffe, dass diese Zeilen dazu dienen werden, den jungen, clubgründenden und namensuchenden Fussballspielern eine bessere Directive in Bezug auf die Benamsung ihrer Vereine zu geben (...).“. Ob dieser Fußballfreund wohl noch miterlebte, wie sich ausgerechnet Hertha zum Toppklub Berlins mauserte? Zumindest erntete er umgehend Widerhall in Form eines weiteren Leserbriefs: „Mit grossem Beifall habe ich (...) den Artikel über Club-Namen gelesen (...). Es ist wahr, die Namen welche sich viele Fussball-Clubs beilegen, sind schauerlich schön! Und seltsamerweise enden fast alle auf ‚i-a’! Ich gestehe, dass es keine leichte Sache ist, und oft die Gehirne der Suchenden in ungewohnter Weise anstrengt, eine passende Benennung für ihren neuzugründenden Verein zu finden. ‚Vorwärts’ ist der passendste Name meiner Meinung nach, und einer, bei welchem der betreffende Club einen glücklichen Griff gethan hat, aber es giebt noch sehr viele andere Ausdrücke, die fast das gleiche bedeuten. Wie wäre es mit einem F.-C. ‚Excelsior’, ‚Spree-Athen’, ‚Wanderer’, ‚Adler’? Oder wenn mehrere Gründer Schulkameraden gewesen, könnten sie ja zum Andenken ihren Verein nach der Schule benennen. Z.B. ‚Alte Joachimsthaler’ etc; nach ihrer Vaterstadt, wie es die meisten süddeutschen Vereinigungen thun. Freilich, werden Sie sagen, giebt es in Cannstatt, Strassburg usw. bereits Fussball-Vereine, welche diese Benamsung, den anderen, später zu entstehenden Clubs fortgeschnappt haben, was werden die letzteren, die ja noch nicht existieren, es aber doch voraussichtlich werden, thun? Sie werden, ebenso wie wir, in Verlegenheit sein. (...) ein findiger Kopf wird nicht in Verlegenheit geraten, denn (...) giebt es viele gute und passende Benennungen für unsere Fussball-Clubs (...).“. Na, die beiden Verfasser waren von dem neuen Phänomen anscheinend eher überwältigt, als daß sie ihre Gedanken dazu wirklich schon sortiert gehabt hätten.


Wenig später knüpfte die Zeitschrift mit einer Meldung nochmals an den Sachverhalt an: „Die Discussion über Club-Namen hat sehr bald gute Früchte getragen. Es sind in den letzten Tagen zwei neue Clubs gegründet worden, ‚Adler’ und ‚Rapide’, beides recht gute Namen.“. Rapide - wer konnte bei dieser ersten Erwähnung des Namens ahnen, wohin es ihn noch treiben sollte. Unter ausdrücklicher Berufung auf den Niederschönhauser Geistesblitz, aber ohne abge­schmirgeltes e, zog er 1899 auch in Wien ein, um dort einen Klub zu benennen, welcher nun seit über hundert Jahren als österreichischer Rekordmeister täglich in aller Munde ist. Auf diesem verschlungenen Pfad schafften es die Urheber zu fünf Sechsteln gar auf die Schale: Rapid Wien, Deutscher Meister 1941 ...