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Rugby im Fußballgewand




Evolution des Vereinsnamens „1.FC“



Kein Aspekt des deutschen Fußball-Vereinsnamenswesens sorgt so oft für Fragezeichen wie das vorgeschaltete „1.“. Fußballfreunde aus dem Ausland bleiben genauso daran hängen wie einheimische. Hiermit nimmt sich Vereinsnamen.de in die Pflicht und gibt auf dieser Seite bestmöglich Auskunft über den Namen „1.FC“.



Den Turnern gelang der Erwerb des Namensbestandteils „1.“ trotz des großen Zeitvorsprungs nicht. Dieser Superlativ lag ihnen außer Reichweite, weil sie grundsätzlich kein Wettkampfdenken im Schilde führ(t)en wie wir Fußballer. Bei der Gründung eines allerersten Turnvereins vor Ort zog man gar nicht in Erwägung, daß irgendwann auch noch in einer anderen Körperschaft geturnt werden könnte. Sich schon vorsorglich als „Erster“ zu bezeichnen, hätte Sektierertum und Fahnenflucht ja geradezu legitimiert. War eine Zersplitterung dennoch eingetreten, wie in den Städten kapazitätsbedingt unausweichlich, müßte eigentlich Anlaß genug entstanden sein, die größere Tradition herauskehren zu wollen. Manchmal schmückte man sich dann mit dem Beiwerk „alt“, z.B. beim ATV Liegnitz +, beim „Alten MTV Landsberg“ + oder bis heute beim auch fußballspielenden „Älteren TuSpo Lohne“. Eine weitere Lösungsmöglichkeit tüftelte der „TV Neumarkt (Stammverein)“ + aus (andersherum kam es zu einer „Jüngeren TG Bettenhausen“ + oder zu einem „Neuen TV Naumburg“ +, was im Fußball tatsächlich einem 2.FC entspräche, sowie unglaublicherweise zu einem „Dritten Breslauer TV“ +). Hieß der älteste Verein schlicht „TV“, genügte das wohl gewissermaßen auch allein der Ehre.


Halt, eine Ausnahme gab es: Als 1863 ein MTV Wien + gegründet wurde, benannte sich der zwei Jahre zuvor geschaffene Wiener TV in „Erster Wiener Turnverein“ um! Noch binnen Jahresfrist erhielt er Begleitung vom „Ersten Wiener Ruderclub Lia“ (um der Frage zuvorzukommen - „Lia“ leitete sich von „Cornelia“ ab). Daß 1864 denkbar weit entfernt auch ein „Erster Kieler Ruderclub“ vom Stapel lief, bestätigt eigentlich nur Wiens Leistung als Kreißsaal, denn die holsteinischen Wassersportler waren schon älter, hatten sich aber offenbar nach dem Vorbild des EWRC Lia umbenannt. Alle drei Klubs bestehen übrigens unverändert. Mit großem zeitlichen Abstand vermeldet erneut Wien das nächste Beispiel in Gestalt der „Ersten Wiener Damen- und Herren-Rudergesellschaft Donaubund“ + von 1878, bei der auch erstmals die Ziffernschreibweise „I.“ auftaucht. Sehr zögerlich schlossen sich ab 1881 der „Erste Breslauer Ruderverein 1876“ + und 1887 der „Erste Wiener Amateur-Schwimmclub“ + an. Wien mußte es sein! In dieser Stadt hat es eine solch ausgeprägte Ordinalzahlen-Kultur, daß sie als Wiege der Vorschaltung „1.“ vorherbestimmt war. Mit der „Ersten Österreichischen Spar-Casse“ (1819; jetzt „Erste Bank“), der „Ersten Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft“ (1829) sowie der „Ersten Allgemeinen Versicherung“ + (1882) stammen drei berühmte namensauffällige Unternehmen von dort. Und überhaupt ist jedem Wiener Straßenschild die Nummer des Bezirks als Ordinalzahl beigefügt.




Der Eintritt in den Fußballsport war an Dramatik nicht zu überbieten. Englische Gastarbeiter, die in Wien einen Cricket-Klub betrieben, fingen 1894 auch zu kicken an. Als sie bemerkten, daß sich eine weitere englisch-österreichische Gruppe mit diesem Spiel befaßte, änderten sie kurzentschlossen ihren Vereinsnamen in „First Vienna Cricket- and Football-Club“. Behördlich angemeldet war der Verein nicht. Im Wissen um diesen Mangel nannte sich die zweite Gruppe siegessicher schonmal „First Vienna Football-Club 1894“. Beide Lager beeilten sich nun mit dem Einreichen der Unterlagen, und wie es in den Quellen heißt, standen sie schließlich gleichzeitig bei der Stadthalterei auf der Matte. Der Sachbearbeiter konnte die Statuten jedoch begreiflicherweise nur nacheinander absegnen. Zuerst erhielt der „First Vienna FC 1894“ Grünes Licht. Daraufhin war der „First Vienna C&FC“ gezwungen, das „First“ aus seinem Namen wieder zu streichen. Bei so viel Zündstoff wurde in den Derbies zwischen diesen Klubs fortan rüde eingestiegen, um es noch mild auszudrücken. Die Erpichtheit auf das „First“ ist auf beiden Seiten als Frevel zu betrachten. Der „First Vienna FC 1894“ hätte deeskalierend drauf verzichten müssen, da er ja wohlweislich der zweite Fußballverein in Wien war. Und der „(First) Vienna C&FC“ ebenso, denn in allen anderen Städten des deutschsprachigen Raums zählten Engländer-Klubs fraglos nicht zum örtlichen Kulturgut dazu, konnten demnach niemals „Erster“ sein. Überdies erstaunt zum einen, daß die Engländer um einen Namensbestandteil rungen, welcher in ihrer Heimat vollkommen unbekannt war, und zum anderen, daß die halb-österreichische Truppe sich einen rein englischen Namen zulegte. Derbies zwischen den beiden Klubs gibt es indessen schon lange nicht mehr. Der „First Vienna FC 1894“ gurkt zweit- bis drittklassig herum, der „Vienna Cricket- and Football-Club“ spielt seit über 80 Jahren weder das eine noch das andere, betätigt sich dafür ohne Namensänderung (!) als Leichtathletik- und Tennisverein ...



Anders als heute, wo man das „First“ bei diesem Klub immer ausschreibt, wurde es in den Anfangsjahren zu etwa 50% zur Ziffer verkürzt. Ob das aus Gründen der Platzersparnis geschah, oder um einen Anglizismus zu vermeiden, jedenfalls eigneten sich die nächsten österreichischen Vereine durchgängig die Ziffernschreibweise an: Noch 1894 die I. Pilsener FG + des deutschen Bevölkerungsanteils in Tschechien (gehörte zu Österreich-Ungarn), 1896 der „I. ungarische SC Hungaria“ + in Wien, 1898 der „I. Wiener Arbeiter-FC“ (später Rapid). Es wurde dazu also eine römische Eins verwendet, wie sie sich in Österreich auch noch lange halten sollte. In Deutschland spielte die römische Schreibung dagegen kaum eine Rolle, vielleicht wegen der Deckungsgleichheit mit der abgekürzten - aber seltenen - Voranstellung „Internationaler“. Römische Einsen sind in den bekannten historischen Wappen des 1.FC Nürnberg und des 1.SV Jena (= Carl Zeiss) sowie in den aktuellen Wappen des 1.FC Donzheim, des 1.FC Langen, des 1.FC Mülheim-Styrum, des 1.FV Uffenheim und des 1.SC Göttingen 05 zu sehen. Aus heiterem Himmel schreiben sich die Göttinger neuerdings grundsätzlich mit römischer Eins, welch unnötige Stichelei gegen die regelmäßige Einheitlichkeit deutscher Vereinsbenennung.




Weiter geht die Suche. Wir brauchen nun noch die Anlegestelle der Vorschaltung im deutschen Fußball. Alle fünf heutigen Klubs oder noch bekannten ehemaligen Namensträger, die sich hier in Verbindung aus Name und Gründungsjahr bewerben, scheiden aus: 1. Hanauer FC 93 (1893, gegründet als FC Hanau), 1. Kasseler BC Sport 1894 (als Casseler FC Sport), 1.FC Mönchengladbach (1894, als München-Gladbacher FC), 1.FC Neukölln + (1895, als Rixdorfer FC Normannia), 1.FC Pforzheim + (1896, als FC Pforzheim). Der VfL Germania Frankfurt 1894 behauptet, als I. Frankfurter FC Germania 1894 gegründet worden zu sein, doch ist dies völlig auszuschließen, da es damals einen alteingesessenen FC Frankfurt + gab (der zwar Rugby spielte, was aber, der Name beweist es, nicht deutlich vom Fußball unterschieden wurde). Fündig werden wir 1895 in Kassel. Die anfänglichen Rugby-Klubs Casseler FC und Hassia Cassel bestanden schon seit zwei Jahren nebeneinander her. Als dann aber nach Sport Cassel der vierte Verein Union Cassel + hinzukam, wurde es dem Altvorderen zu bunt - er benannte sich um in „Erster Casseler FC“, abgekürzt ECFC! Ebenfalls 1895er Jahrgangs waren der I.FV Sport Mühlburg (Vorläufer des Karlsruher SC) und der „I.FV der Hausschüler der Franckeschen Stiftungen zu Halle“ +. Außerhalb des Fußballs bemühten sich der „I. Stuttgarter Amateur-Schwimmklub“ (ab 1895) und der „I. Athletenclub Durlach“ + (1896) um die Ausbreitung der Vorschaltung. Doch obwohl der Durchbruch nun auf dem Silbertablett da lag, machten sich jahrelange Wirren breit. In der Zeitschrift „Sport im Bild“ wurde der Magdeburger SC 95 + einfach mal so als „I. Magdeburger FC“ bezeichnet. Vor allem der angehende 1. Hanauer FC 93 tingelte von 1896 bis 1899 wie ein schwankendes Chamäleon durch`s Schriftgut. Offensichtlich hielt man die Vorschaltung in dieser Phase für keinen festen Namensbestandteil, sondern setzte sie in Presseveröffentlichungen und anderen Darstellungen wahlweise zur Erhöhung ein, bis man richtig auf den Geschmack kam. Ein etwaiges Benennen als 1. Hanauer FC 93 geschah demnach schon bevor es von der Satzung gedeckt war! Zur Jahrhundertwende beendete eine Schar neuer Vereine die Unzucht: I. Bockenheimer FC 1899 +, I. Durlacher FC 99 +, I. Münchener FC 1896 + (alle 1899), I.FC Nürnberg, I. Spandauer FC Triton-Union +, I. Welschneureuther FC Germania + (alle 1900). Ob man beim zunächst Rugby spielenden I.FC Nürnberg Bescheid wußte, daß man zum Entstehungszeitpunkt zwar der einzige, insgesamt aber schon der vierte Fußballklub der Stadt war? Beim umfirmierten I. Casseler FC Sport, der die Vorschaltung nach dem Absterben der beiden örtlichen Schrittmacher 1900 an sich riß, war auf jeden Fall Dreistigkeit im Spiel. Gegen 1904/05 versorgte sich endlich auch der 1.FC Pforzheim mit der Eins. Während Hanau 93 mehr seine Jahreszahl prägte und das „1.FC“ - wie auch die österreichischen Klubs - sowieso nicht in der später handelsüblichen Form anordnete, gaben die Pforzheimer als Deutscher Vizemeister 1906 gemeinsam mit dem 1.FC Nürnberg den endgültigen Standard vor. Es paßt zur ganzen Unschärfe, daß der 1.FCP die Eins zeitlebens nie in sein Wappen aufnahm.




Mehrere Triebfedern zur Eigenbeschreibung als „Erster“ haben wir bereits kennengelernt. Entweder stellt man seine Pioniertat stolz zum Gründungszeitpunkt fest, oder es fällt dem Verein rückwirkend siedend heiß ein, daß er ja über die weitreichendsten fußballerischen Wurzeln vor Ort verfügt. Als dritte Möglichkeit werden verblichene Konkurrenten weggelogen und das „Erster“ damit in der etwas anderen Bedeutung „Ältester“ eingespannt. Und dann sollte der Sinngehalt der Vorschaltung noch erheblich mehr ausufern. Daß „Köln 1899“ der erste und älteste Fußballklub Kölns ist, war im Jahr 1948 kein Geheimnis, als zwei andere Vereine zum 1.FC Köln fusionierten. Schon bei den Umbenennungen zum 1.FC Kaiserslautern und zum 1.FC Saarbrücken dürfte ein Gedanke mitgeschwungen haben, der nun ganz unverhohlen hervortrat, nämlich das Pochen auf die lokale Vorherrschaft, das Selbstverständnis als „Stadtverein“. Spätestens seit der 1966 erfolgten Namensgebung 1.FC Union Berlin greift aber auch diese Definition zu kurz. Die Eins steht nunmehr für gar nichts.


„1.FC“ verselbständigte sich als feste Verbindung ohne bestimmten Hintergrund. Dank den betreffenden Spitzenklubs ist das allgemein bekannt, wird also von den Amtsgerichten nicht als Täuschung eingestuft. Auch als 28. Fußballverein des Ortes braucht man damit keine behördenseitige Zurückweisung zu fürchten. Ein Hindernis ergibt sich lediglich aus dem Gebot der einwandfreien namentlichen Unterscheidung aller Vereine. Zu einem vorhandenen FC Musterstadt wird daher kein 1.FC Musterstadt mehr stoßen können. Mit dem Pärchen Musterstädter FC / 1.FC Musterstadt sieht es womöglich schon anders aus. In Nienburg/Saale wurde die Abspaltung der Fußballabteilung des FSV (= Freier Sportverein) als 1.FSV (= Erster Fußball-Sportverein) erlaubt. Hat man die freie Auswahl zwischen purem „FC“ und „1.FC“, lasse man sich getrost vom Geschmack allein leiten. Keiner der Namen ist dem anderen überlegen, beide wirken sie gleichermaßen „groß und allgemein“. Die positive Aufwertung durch das „1.“ kann einerseits schwerlich abträglich sein, andererseits vermittelt aber auch gerade jeder Verzicht auf Präzisierungen die volle Absolutheit. Letzteres dachte man sich wohl irgendwann mal beim Kremser SC, beim FC Arminia 03 Ludwigshafen, beim FC Haunstetten/Augsburg und beim Mühlenberger SV, vier Vereinen, die die Einsen aus freien Stücken einfach wieder abschraubten. Was es nicht alles gibt.